Interview
Der Dritte Ort
Hintergründe vom Experten: Architekt Aat Vos aus den Niederlanden gestaltet Büchereien als Dritte Orte und erklärt, was das genau ist.
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Der Löhner Bahnhof rückt wieder in den Mittelpunkt. Über die Ideen und Planungen haben wir mit dem Experten Aat Vos aus dem niederländischen Groningen und dem verantwortlichen Architekten Mario Nolle vom Bielefelder Architekturbüro „Baulampe“ gesprochen.
„Es geht um die Begegnung von Menschen“
Hintergründe vom Experten: Architekt Aat Vos aus den Niederlanden gestaltet Büchereien als Dritte Orte und erklärt, was das genau ist.
Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, den öffentlichen Raum wiederzubeleben. Warum ist Ihnen das eine Herzensangelegenheit?
Vos: Ich glaube, es geht darum, Freiraum zum Denken zu haben. Und zwar nicht nur geistig, sondern auch physisch. Deswegen brauchen wir neben unserem Arbeitsplatz und unserem Zuhause noch andere Orte, an denen wir mit Menschen ins Gespräch kommen können, mit ihnen streiten oder unsere Meinung teilen oder uns einfach inspirieren lassen können. Das ist auch wichtig für die Demokratie und die Entwicklung des Einzelnen. Wenn es diese Orte nicht gäbe, dann würden wir ein isolierteres Leben führen und die Gesellschaft bestände aus einer Sammlung von Individuen.
Die Stadtbücherei in Löhne soll zu einem sogenannten Dritten Ort ausgebaut werden. Was macht so einen Ort aus?
Vos: Ein Dritter Ort hat dieselbe Bedeutung wie das Zuhause oder der Arbeitsplatz. Der Begriff geht zurück auf den amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg, nach dessen Auffassung der erste Ort dem Arbeitsleben, der zweite Ort dem Familienleben und der dritte Ort zu beidem einen Ausgleich als Treffpunkt für die nachbarschaftliche Gemeinschaft bilden soll. Charakteristisch für so einen Ort ist, dass man sich dort auskennt, sich sicher fühlt, man alleine hingehen oder dort Leute treffen kann. Dass man sich dort kostenlos aufhalten kann, sanitäre Anlagen nutzen kann und es vielleicht die Möglichkeit gibt, einen Tee oder einen Kaffee zu bekommen. Dritte Orte spielen eine ganz wichtige gesellschaftliche Rolle, wenn es um die Begegnung von Menschen geht. Und es geht darum, den steuerzahlenden Bürgern etwas zurückzugeben.
Welche Bedeutung kann der Bahnhof mit Bücherei langfristig für Löhne gewinnen?
Vos: Der Bahnhof hat die Chance, nicht nur ein Durchgangsort zu sein, sondern sich zum Aufenthaltsort zu entwickeln und damit eine ganz neue Funktion im Leben vieler Löhner einzunehmen. Die Familienverhältnisse werden immer fragiler, viele Menschen leben allein. Der Bahnhof kann ein Ort sein, an dem ich abends meine Mitmenschen treffe und vielleicht mein Abendessen zu mir nehme. Früher haben Orte wie Kirchen diese Rolle übernommen, viele davon gibt es aber nicht mehr. Die Neugestaltung des Bahnhofs ist eine riesige gesellschaftliche Chance zur Inklusion.
Was hat Sie am Bahnhof Löhne gereizt?
Vos: Ich hatte ein inspirierendes Gespräch, bei dem ich Vertreter der Stadt und des Vereins getroffen
habe. Wir haben darüber gesprochen, wie ein Prozess der Neugestaltung des Bahnhofs aussehen könnte. Für mich steht die Gestaltung des Dritten Ortes für die Bevölkerung Löhnes an erster Stelle. Jeder sollte die Chance haben, einen solchen Ort zu bekommen.
Welche Erfahrungen aus anderen Projekten lassen sich übertragen?
Vos: Da sage ich gerne: Ergebnisse kann man nicht kopieren, aber Prozesse. Die Ergebnisse sind nicht
immer gleich, denn jeder Ort hat seine eigene Typologie, seine eigene Sprache. Und auf der zweiten Ebene auch seine eigene Identität. Jeder Ort hat seine eigenen Begebenheiten. Wir fragen bei jedem Ort ganz genau nach, was dort los ist, was für soziale Fragen dort im Mittelpunkt stehen und was die Bürger und Bürgerinnen umtreibt.
Spielt für Sie dabei die Geschichte des Bahnhofs eine Rolle, die auch im Roman „Im Westen nichts Neues“ thematisiert wird?
Vos: Wir können nur die Gegenwart verstehen, wenn wir die Geschichte kennen. Das ist nicht im Sinne eines Museums gemeint, aber es ist natürlich riesig interessant, wenn ein solcher Ort in die Weltliteratur eingegangen ist und dieses Buch auch verfilmt wurde. Das stiftet Identität, und das möchten wir an diesem Ort aufgreifen, der außerdem eine superschöne Lage mitten in der Stadt hat.
Bibliothekskonzepte für ganz Europa
Aat Vos studierte In Groningen und ist seit mehr als 30 Jahren selbstständig
Aat Vos (60), studierte ab 1984 an der Universität Groningen und wechselte ein Jahr später an die 1798 gegründete Fachhochschule Hanze University of Applied Sciences in Groningen zum Bachelor- und Masterstudium, das er 1999 abschloss. Berufserfahrung erlangte er in verschiedenen Architekturbüros im Norden der Niederlande, bevor er sich ab 2013 in Donderen/Provinz Drenthe selbstständig machte. Internationale Anerkennung erhielt er in der Gestaltung von Bibliotheken. Er verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung als Entwickler von Bibliothekskonzepten in ganz Europa. Er fordert die Entwicklung des „Dritten Ortes“ für alle, in Form der Bibliothek als außergewöhnlichem städtischen Wohnraum. In Deutschland war er bislang für die Städte Köln und Würzburg tätig.